Digitale Barrierefreiheit

Mit Barrierefreiheit oder Accessibility ist gemeint, dass körperlich und geistig eingeschränkten Menschen eigenständiger und hindernisfreier Zugang gewährt wird. Im Kontext dieser Diplomarbeit geht es um den Zugang von digitalen Informationen. Der Fokus liegt dabei auf dem Dateiformat PDF.

Hilfstechnologien

Körperlich und geistig eingeschränkte Menschen nutzen assistierende Technologie (kurz: AT)., die sie beim Konsumieren der Informationen unterstützt. Damit sind Bildschirmvorleseprogramme, Braille-Zeilen, Bildschirmlupen, Augen- und Mundsteuerungen, Spezialtastaturen und Ähnliches gemeint.

Damit die Hilfstechnologien Informationen sinngemäss ausgeben können, ist es wichtig, dass die Inhalte korrekt strukturiert werden. Einzelnen Inhaltsteilen werden semantische Tags zugewiesen und in der richtigen Reihenfolge geordnet. Diese Tags kann man sich als unsichtbare Etiketten vorstellen, die beispielsweise eine Überschrift, eine Liste oder eine Tabellenüberschriftszelle, usw. markieren.

Richtlinien und Guidelines

Wie man digitale Barrierefreiheit einhält und prüft, erfährt man in den Richtlinien Web Content Accessibility Guidelines (kurz: WCAG). Diese Richtlinien gelten für alle Formate, die im World Wide Web verwendet werden – auch für das PDF-Format. (W3C, 2018)

Die Dachorganisation hinter den WCAG ist das World Wide Web Consortium (kurz: W3C), welches auch für andere Internet-Standards verantwortlich ist.

Zusätzlich zu den WCAG existiert der PDF spezifische Standard PDF/UA. Beide sind ISO-Standards. PDF/UA ist ein formatspezifischeres Regelwerk und überschneidet sich thematisch mit den WCAG. Verglichen mit den WCAG geht PDF/UA aber mehr auf technische PDF-Spezialitäten ein.

Was es hingegen weglässt sind redaktionelle Themen, Farbkontraste und zeitbasierte Medien. (Posselt & Frölich, 2019, S. 99f.)

Um die Kompatibilität des PDF/UA-Standards zu prüfen, wurde von der PDF Association das Matterhorn Protokoll entwickelt. Dieses ist kostenlos zugänglich. Es beschreibt 136 Fehlerbedingungen, wovon 87 maschinell, 47 durch Menschen und zwei nicht spezifisch getestet werden können. (PDF Association, 2021)

Gesetzliche Vorgaben

«Das Behindertengleichstellungsgesetz, verpflichtet das Gemeinwesen und konzessionierte Unternehmen dazu, Massnahmen zu ergreifen, um Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen (BehiG 2017).» (Riesch, Dungga, Weissenfeld & Uebelbacher, 2020, S. 2)

Behörden und staatsnahe Betriebe sind verpflichtet barrierefrei zu kommunizieren. Der eCH-0059 ist ein schweizerischer E-Government-Standard zum Thema Accessibility und stützt sich auf die genannten Richtlinien WCAG und PDF/UA, aber auch auf die Gesetzgebung:

  • Artikel 8 Absatz 2 Bundesverfassung (BV)
  • Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG)
  • Artikel 9 UNO-Behindertenrechtskonvention

Barrierefreiheit und das Format PDF

Das Portable Document Format (kurz: PDF) ist ein beliebtes und weit verbreitetes Dateiformat, insbesondere in der Druckvorstufe und für das elektronische Publizieren. Das visuelle Erscheinungsbild eines PDF-Dokuments ist immer gleich, egal mit welchem Betriebssystem und Programm es geöffnet wird. Dies ist einer der Hauptgründe für die Popularität des Formats.

Zugleich ist diese fehlende Dynamik Grund für eine schlechtere Zugänglichkeit. Auf einem kleinen Bildschirm passt sich die Anzeige nicht ohne weiteres an, ist also nicht responsive1.

Seit der Einführung der PDF-Tags in der PDF-Version 1.4 können Dokumente mit Semantik angereichert werden und lassen sich dadurch von AT nutzen oder besser in ein anderes Format konvertieren. (Adobe, 2001, Seite 612ff.)

Verglichen mit HTML enthält das PDF-Format nicht zwingend eine Tagstruktur, was bei HTML jedoch elementar ist. In Textverarbeitungs- und Layoutprogrammen, wie Microsoft Word und Adobe InDesign, steht der Inhalt und dessen Aussehen im Vordergrund. Oft werden PDF-Tags aufgrund von Unwissenheit gar nicht oder unbewusst und unkontrolliert vergeben.

Die Barrierefreiheit in den Bundesbehörden

Der Bundesrat legte im März 2012 fest, dass die digitale Barrierefreiheit der Bundesbehörden ungenügend umgesetzt ist und beschloss verschiedene Massnahmen. Basierend darauf beauftragte er die interdepartementale Arbeitsgruppe «Internet-Barrierefreiheit (IDA BF)» im Juni 2014 einen Aktionsplan zu erstellen. Dieser nannte sich «E-Accessibility 2015–2017» und beinhaltete unterschiedliche Massnahmen, um die Barrierefreiheit zu verbessern. (IDA BF, 2015)

Die Auswertung des Aktionsplans wurde von der Berner Fachhochschule in einem 66-seitigen Evaluationsbericht festgehalten. (Dungga & Weissenfeld, 2018)

Eine der wichtigsten Massnahmen war die Einführung der neuen Geschäftsstelle E-Accessibility, innerhalb des Departements des Innern (EDI). Der Leiter der gegründeten Geschäftsstelle ist Markus Riesch, Auftraggeber dieser Diplomarbeit und ehemaliger Geschäftsführer der Stiftung «Zugang für alle».

Stand der PDF-Barrierefreiheit bis 2018

Im Aktionsplan wurde festgehalten, dass die Zugänglichkeit von PDF-Dokumenten eines der grösseren Probleme darstellt. Dieser Mangel wurde durch die nachfolgend aufgeführten Massnahmen belegt:

  • Studie der Stiftung «Zugang für alle» aus dem Jahr 2016 (Zugang für alle, 2016, S. 59ff.);
  • Accessibility Audits aus dem Jahr 2018, ebenfalls durch die Stiftung «Zugang für alle» durchgeführt und beauftragt von der eidgenössischen Bundeskanzlei;
  • eine quantitative Onlinebefragung, welche für 103 Webauftritte beantwortet wurde;
  • zehn qualitativen Interviews mit den departementalen Verantwortlichen für Internet-Barrierefreiheit.

Die Selbsteinschätzung aus der Onlinebefragung ergab unter anderem folgende statistische Auswertung:

Abbildung 3: Grafik aus der Evaluation des Aktionsplans (Abbildung 23)

Abbildung 3: Grafik aus der Evaluation des Aktionsplans (Abbildung 23)

Die Audits durch die Stiftung «Zugang für alle» ergaben ein noch ernüchternderes Bild. In der Schweizer Accessibility Studie 2016 wurde in der Kategorie «PDF Accessibility» bei allen Bundesbehörden die schlechteste Note vergeben.

«Auch fünf Jahre nach Erscheinen der letzten Accessibility-Studie bestehen die schwerwiegendsten Barrieren für Menschen mit Behinderungen noch immer in nicht zugänglichen PDF-Dokumenten.» (Zugang für alle, 2016, S. 64)

Spezifische Massnahmen für barrierefreie PDF-Dokumente

Wie bereits genannt, wurden im Aktionsplan Massnahmen getroffen, um die Barrierefreiheit zu verbessern.

Im Bereich der PDF-Dokumente sind folgende Massnahmen umgesetzt:

  1. Leitfäden erstellt und zur Verfügung gestellt
    • Anforderungen an die Barrierefreiheit von PDF-Dokumenten des Bundes: Vorgaben für externe Auftragnehmer (IDA BF, 2016)
    • Checkliste zur Erstellung barrierefreier PDF aus Word (Riesch, 2017)
    • Accessibility Checkliste für PDF aus PowerPoint (Riesch, 2017)
    • Barrierefreie PDF-Dokumente – Ein Faktenblatt für die Bundesverwaltung (EBGB, 2018)
    • Checkliste für PDF aus InDesign (nicht öffentlich zugänglich)
  2. Beschaffung der Word-Erweiterung axesWord
  3. Schulungsangebot
    • Allgemeine Sensibilisierung zur digitalen Barrierefreiheit
    • Bedienung von axesWord

Heutige Einschätzung der PDF-Barrierefreiheit

Markus Riesch von der Geschäftsstelle E-Accessibility verneint, dass sich die PDF-Barrierefreiheit stark verbessert hat. Das Word-Plugin axesWord steht zwar nach langem Warten mittlerweile zur Verfügung, damit ist es aber noch nicht getan. Wichtig ist, dass die Tags semantisch korrekt zugewiesen werden, was keine Maschine/Software zuverlässig übernehmen kann.

Die am meisten verwendeten Erstellungsprogrammen von PDF-Dokumenten sind Microsoft Word und Adobe InDesign. Sie lassen viele Fehler zu, was die Strukturierung angeht. Viele Anwendende arbeiten nur visuell und kümmern sich nicht darum, ob die Inhalte semantisch korrekt getaggt sind. Die Anzahl potenzieller Autor:innen von PDF-Inhalten lässt sich schwer eruieren. Wenn man die gesamte Anzahl Angestellte des Bundes betrachtet, lässt sich erahnen, dass sie hoch sein muss. Im Jahr 2021 zählte man 39729 Bundesangestellte (EPA, 2022).


  1. Mit responsive ist ein dynamisches Layout gemeint, welches sich je nach Bildschirm-/Fenstergrösse anpasst